Halbwertszeit der Medien

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Das Medium ist tot. Es lebe das Medium.

Manchmal, wenn uns Menschen aus der schreibenden Zunft nichts mehr einfällt, verfassen wir Artikel über das qualvolle Ende unserer Plattformen. Dann schreiben wir über die „Halbwertszeit der Medien“. Nein, kein aktuelles Thema. Auch nicht wichtig oder von besonderem öffentlichen Interesse (womit alle Gründe für eine Veröffentlichung eigentlich schon ausgeschlossen wären). Dennoch nerven wir andere damit „Hach, war das nicht schön, als es die VHS-Kassette noch gab…“ und rechtfertigen unser Gejammer mit der berühmt-berüchtigten „Chronisten-Pflicht“. (In diese Kategorie gehören übrigens auch die „wunderschönen“ Jahresrückblicke in allen Medien Ende Dezember. Schnarch.)

Ja, von der Höhlenmalerei bis zum Internet ist viel geschehen. Hatte einst die Zeitung die Informationsverbreitungshoheit, muss sie sich heute neben Radio, Fernsehen und Internet behaupten. Speicherten wir einst unsere Lieblingslieder und Filme auf Kassetten, stehen uns heute DVD, CD, Festplatte, USB-Stick etc. zur Verfügung. Und ja auch die Wiedergabequalitäten haben sich stark verändert. So weit so gut. Wissen wir. Genauso wissen wir, dass jede Medienepoche Ihre Propheten hatte, die uns wieder und wieder den Untergang irgendeines Mediums vorhersagten – immer dann, wenn ein neues sich aufmachte die Welt zu erobern. Wäre es nach ihnen gegangen, hätten weder das Buch noch das Radio überlebt, auch gäbe es das Fernsehen nicht mehr und Print-Werbung gehöre inzwischen auch langsam zu einer aussterbenden Art. Und dieser Fatalismus ist nicht neu:

Als die Fotografie aufkam, machte sich die Malerei vor Angst fast in die Hosen, denn schien sie nun ihrer Daseinsberechtigung beraubt. Bisher war es ihr Auftrag gewesen, die Wirklichkeit abzubilden und für spätere Generationen festzuhalten. Die Fotografie machte dies aber nun noch viel exakter. Großes Geschrei. Und was geschah? Die Maler verlegten sich auf die Darstellung einer Wirklichkeit, welche die Fotografie nicht leisten konnte: Subjektivität. Subjektive Eindrücke, Gefühle, ja sogar akustische und habtische Erlebnisse fanden nun ihren Weg auf die Leinwände. Die Malerei veränderte sich. Aber sie blieb weiterhin höchst erfolgreich. Oder genau deswegen?

Im Prinzip zeigt schon dieser Prozess, was wirklich hinter der sogenannten „Halbwertszeit der Medien“ steht: Medien verschwinden nicht einfach von der Bildfläche, nur weil ein neues Medium auftaucht. Sie wandeln sich (wenn sie überleben wollen) und finden erst durch die Konkurrenz zu ihren eigentlichen Stärken (zurück). Und dann entsteht Crossmedialität. Wenn Medien sich nicht mehr bekämpfen, sondern Ressourcen gemeinsam nutzen, aber für unterschiedliche Verbreitungswege ganz unterschiedlich aufbereiten.

Gerade jetzt stehen wir an einem solchen spannenden Scheideweg. Ja, die Zeitung verliert jede Menge Abonnementen. Auch diverse Verkaufszahlen schwächeln. Und schon sind sie wieder da, die  Propheten, die das Sterben der Zeitungen vorhersagen. Doch auch hier ist es wie damals im Krieg „Fotografie versus Malerei“. Wenn die Zeitung versucht auf den Herrschaftsgebieten von Radio und Fernsehen – der Aktualität – diese Schlacht zu gewinnen, wird sie scheitern. Wenn sie sich aber auf ihre eigentlichen Stärken besinnt – Hintergründe, Analysen, Zusammenhänge etc. – dann wird sie ein Rädchen im Getriebe des großen Ganzen bleiben. Wäre es also nicht viel produktiver, seine Zeit in die Ausarbeitung neuer Wege zu stecken, anstatt die „Halbwertszeit der Medien“ zu beklagen?

Und die gute alte VHS-Kassette … mein Gott, um die ist es nun wirklich nicht schade.

(Text von Heiko Fuhrmann)

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